Die Kunst der Vermittlung - Das
Vermitteln von Kunst
Zum Selbstverständnis von Musikerziehung in Hochschule
I. Künstlerische Identität und
Vielfalt
Die Entwicklung des Diplomstudiengangs Musikerziehung an der Hochschule für
Musik Saar zeigt in besonderem Masse das Bemühen, den Veränderungen
der musikalischen Landschaft zu begegnen und ein Lehrangebot bereitzustellen,
das einerseits die Studierenden bestmöglich auf die Berufswirklichkeit
vorbereitet, andererseits der kulturpolitischen Bedeutung von Hochschule als
Qualität regulierende und Standard setzende Institution gerecht wird.
In den letzten acht Jahren sind vielfältige Neuorientierungen erarbeitet
worden, die gezielt, als Pilotprojekte gedacht, in der Hochschule fruchtbar
werden konnten. In zwei Schritten wurde die Prüfungsordnung grundlegend
reformiert, dabei die pädagogische Säule ausgebaut und durch Maßnahmen
wie das studienbegleitende Unterrichts- und Orientierungspraktikum, die erweiterte
Fachdidaktik, die Erhöhung der Stundenzahl in den fachwissenschaftlichen
Disziplinen sowie frühzeitige Verzahnung mit der Berufpraxis gestärkt.
Durch die Einrichtung der Wahlfächer, der Aufwertung des künstlerischen
Nebenfachs, der Einführung von obligatorischen Veranstaltungen in den
Bereichen Jazz und Popularmusik konnte das Ausbildungsspektrum vergrößert
werden. In nahezu allen künstlerischen Hauptfächern kann die Lehrbefähigung
erworben werden, der Studienbereich Musikerziehung differenziert dazu das Angebot
durch die Bereitstellung der Ergänzungsstudiengänge Gehörbildung
und Jazz sowie des Zusatzdiplomstudienganges Elementare Musikpädagogik.
Darüber hinaus ist es gelungen, die Zugangsmöglichkeiten zur Elementaren
Musikpädagogik auch den Studierenden der Schulmusik und der Kirchenmusik
zu eröffnen. Durch diese Vernetzung wird die Bedeutung der Berufsbilder
mit Multiplikatorenwirkung deutlich und die Kompetenz der Absolventen aller
drei Studienbereiche, der Vielfalt und besonderen Problematik musikalischer
Bildung an der Basis zu begegnen, erhöht. All diese Bemühungen gingen
einher mit dem Bekenntnis zum künstlerischen Wesen der Musikerziehung.
Es besteht Konsens mit den Kolleginnen und Kollegen der künstlerischen
Fächer, dass Studierende der Musikerziehung nicht weniger künstlerisch
als Studierende in der Konzertausbildung orientiert sein und nicht geringere
Qualität in diesem Bereich aufweisen dürfen. Statt dessen bedarf
es eines höheres Maßes an Vielfalt, Flexibilität und letztlich
Vermittlungskompetenz. Ein musikpädagogisches Diplom soll nicht als "Fast-Food"-Abschluss
in einem künstlerischen Hauptfach begriffen werden, sondern als besondere
Schwerpunktsetzung, die die Absolventen als "Spezies" mit deutlich
über die rein künstlerischen Betätigungen hinaus gehenden Qualifikationen
und Merkmalen ausweist. Mit diesem eindeutigen Bekenntnis zur künstlerischen
Potenz und den darüber hinaus gehenden Kompetenzen setzt sich Hochschulausbildung
auch ab von anderen musikpädagogischen Ausbildungsprofilen, die auf dem
Markt Konkurrenz bilden. Die Bedürfnisse nach nachhaltiger musikalischer
Bildung werden jedoch im Fadenkreuz hektischer medialer Desorientierung und
finanzieller Zwänge nur von solchen Persönlichkeiten erfüllt,
deren Qualität sich positiv abhebt. Qualität meint hierbei sowohl
künstlerische Reife als auch Kompetenz in den Bereichen, die bisher nicht
zum originären Selbstverständnis von Musikhochschulen gehörten.
Künstlerische Persönlichkeiten, die als Multiplikatoren gebraucht
werden und tätig werden wollen, werden sich behaupten und wirksam sein,
wenn sie vernetzt denken, perspektivisch planen, flexibel reagieren, strategisch
kommunizieren, interdisziplinär handeln und vielfältig einsetzbar
sein können. Die Charakteristika eines "homo politicus" werden
immer mehr zu einem notwendigen Wesensmerkmal eines Kulturschaffenden werden,
der der Kurzlebigkeit eines traditionellen Künstlertypus widersteht. Nicht
zuletzt braucht es diese Nachhaltigkeit und Bereitschaft zur Basisarbeit, um
die Existenzgrundlage "reiner" Künstler zu sichern.
II. Berufsorientierte Ausbildung als perspektivisches interdisziplinäres
Agieren
Eine besondere Stärke einer Musikhochschule liegt in ihrer Vielfalt und
ihren multimusikalischen Ausdrucksformen, die die Entwicklung einer ganzheitlichen
künstlerisch-ästhetischen Persönlichkeit fördern können.
Die Anerkennung als Hochschule ist daher an die Erfüllung spezifischer
Struktur- und Qualitätskriterien geknüpft. Diese polyvalente Struktur
birgt aber gleichzeitig die Gefahr der Isolation. Es liegt wohl in der Natur
einer jeden Disziplin und eines jeden Hauptfaches, eine ausgeprägte Innensicht
zu entwickeln. Es ist daher ein immer neuer Anspruch, über die Grenzen
des eigenen Faches hinaus den Blick auf das Ganze zu richten, zu begreifen,
dass Wissenschaft kein Gegensatz zu Kunst ist, dass Sänger nicht mehr
oder weniger Künstler sind als Instrumentalisten, dass Interpreten und
Pädagogen keine Antipoden sind, dass so genannte "Hochkultur"
ohne kompetent gepflegte "Basiskultur" nicht existieren kann, dass
aber auch Basiskultur zur Naivität verkommt, wenn sie den Kontakt zur
Hochkultur verliert. Nicht "U - Musik" steht im Gegensatz zur "E
- Musik", nicht Konzertmusik im Gegensatz zur pädagogischen Musik,
nicht artifizielle im Gegensatz zur kommerziellen, sondern allein gute Musik
im Gegensatz zur schlechten. Die Qualitätskriterien guter Musik können
jedoch nicht durch Quoten ermittelt werden, die Akzeptanz der Mehrheiten ist
keine inhaltliche Komponente, auch wenn diese Erscheinungen zu einem alles
überragenden Argument geworden zu sein scheinen. Die notwendige Abwehr
einer kritiklosen Vermischung der Genres, die alles einander gleichsetzt, verhindert
nicht die Anerkennung einer stilistisch vielfältigen, zwischen den Disziplinen
vermittelnden Herangehensweise an künstlerische Phänomene. Der Beethoven-Interpret
allein hat auf Dauer keinen Markt, nicht weil wir für dieses Repertoire
keine Begeisterung empfinden, sondern weil außerhalb der geschützten
Mauern der "bürgerlichen Musikkultur" die Musik zu einer Massenware
geworden ist. Gleichzeitig jedoch birgt diese Multiplizierung von kulturellem
Konsum auch Chancen. Es ist nicht nötig, das Kränkeln des traditionellen
Konzertbetriebes zu beklagen, vielmehr zeigen vielfältige Beispiele, dass
Musiker immer ihren Markt haben können, wenn sie sich den Bedürfnissen
ihrer Umgebung öffnen. Alternative Programme, Festivals, neue Präsentationsformen,
das Ablegen der Scheu vor der "Nicht-Klassik", innovative Vermittlung
und vieles mehr sind die möglichen Strategien, sich auf dem Markt zu platzieren
und dann dem Selbstverständnis einer künstlerisch-ästhetischen
Persönlichkeit zu genügen. Diesem Selbstverständnis genügt
es nicht, den Markt zu bedienen, sondern ihn zu bilden im doppelten Wortsinne.
Mit Recht wird eine berufsbezogene Ausbildung in den Mittelpunkt aller curricularen
Überlegungen gestellt. Dabei gilt es die Balance zu wahren zwischen praxisorientierten
Ausbildungsinhalten, die sich direkt mit der Berufswirklichkeit verbinden lassen,
und neutralen, zeitlosen und somit multifunktionalen Befähigungen. Weder
kann und darf Hochschule sich allein auf die Konditionierung der Studierenden,
den gegenwärtigen Anforderungen gerecht zu werden, zurück ziehen,
noch darf sie sich einer illusionären Idylle hingeben. Die Situation verändert
sich so rasch, dass niemand die Verantwortung für eine langfristige Wirksamkeit
von Ausbildung übernehmen kann. Hochschule unterscheidet sich von Berufsschule
auch dadurch, dass sie sich vom direkten und ausschließlichen Praxisbezug
des zeitnahen Umfeldes löst, und versucht, Konzeptionen zu entwickeln,
mit deren Hilfe ihre Absolventen prägend auf die Entwicklungen einwirken
können. Berufsorientierte Ausbildung meint nicht Reaktion auf die Erfordernisse
des Marktes allein, sondern erfordert perspektivisches Agieren mit dem Blick
auf interdisziplinäre Inhalte. Daraus folgert:
- Lehrende wie Studierende müssen nüchtern und realistisch die Berufswirklichkeit
und Berufschancen benennen und danach handeln
- Ausbildungsgänge und -inhalte müssen so gestaltet sein, dass sie
einen Berufseinstieg ermöglichen und den Veränderungen eines Berufslebens
standhalten
- Die Notwendigkeit von Mehrfachqualifikation muss anerkannt, die Durchlässigkeit
und Vernetzung der Studiengänge weiter erhöht und die Wahrnehmung
dieser Möglichkeiten offensiv gefördert werden
- Die Rahmenbedingungen eines Studiums müssen gewährleisten, dass
die Qualität in einzelnen Bereichen nicht abnimmt, sondern bei gleichzeitiger
stärkerer interdisziplinärer Ausrichtung erhalten bleibt
- Die künstlerisch-pädagogische Persönlichkeit als Multiplikator
ist eine zentrale Herausforderung in der Gegenwartskultur
- Es müssen künstlerisch-ästhetische Persönlichkeiten herangebildet
werden, die als Anwälte einer als Kommunikation verstandenen Musik der
Allgegenwart eines oberflächlichen Sentimentes widerstehen.
Der Privatmusikerzieherabschluss der Vergangenheit hat sich zum Diplom gewandelt.
Mit diesem Wandel ging ebenso wie in den Berufsfeldern der Kirchenmusik und
der Schulmusik eine Vervielfachung der Anforderungen einher. Aus diesen Bereichen
rekrutiert sich die unverzichtbare Gruppe der Multiplikatoren, ohne die eine
musisch-kulturelle Weiterentwicklung der Gesellschaft undenkbar ist. Es gilt
daher, verstärkt über den Stellenwert von musikpädagogischen
Ausbildungsgängen an Hochschulen nachzudenken. Dabei ist das Verhältnis
zu den Konzertausbildungen ebenso zu erwägen wie die Relation zwischen
Quantität und Qualität der Absolventen innerhalb der Musikpädagogik.
So war es notwendig und verantwortlich, die Zahl der Studierenden im Studienbereich
Musikerziehung an der HFM zu reduzieren, namentlich im Bereich der Tasteninstrumente.
Dies geschah mit Blick auf die eingeschränkten Berufschancen und den gesättigten
Markt für die Absolventen, die sich mit einem künstlerischen Schwerpunkt
ihre Existenz sichern wollen. Es ist aber ebenso verantwortlich und notwendig,
die musikpädagogische Säule einer Hochschule stark zu erhalten, weil
ihre Arbeit den Boden der Zukunft bereitet, ohne den kein Nachwuchs für
die Hochschulen, kein Publikum für das Konzertwesen und, was noch schlimmer
wäre, keine musisch tätigen Menschen mehr heranwachsen. Hilfreich
ist hier ein enger Schulterschluss mit der Schulmusik, die ihre Aufgaben ohne
die Zusammenarbeit mit Instrumental- und Gesangspädagogen nicht erfüllen
kann, notwendig ist ebenso eine Besinnung in der Kirchenmusik, deren Stellenprofile
von wenigen Ausnahmen abgesehen den traditionellen Schwerpunkt Orgel verlassen
und erweitert haben. Diese Entwicklung haben auch die Rektoren der deutschen
Musikhochschulen erkannt, indem sie mehr Studienplätze innerhalb der Musikpädagogik
und weniger künstlerische Ausbildung einfordern. So darf die Einrichtung
von künstlerischen Studiengängen nur unter den Voraussetzungen einer
besonderen Qualifikation und besonderer Perspektiven vorgenommen werden, Studienplätze
nur unter strengen Kriterien vergeben werden. Studierende müssen ermuntert,
ja gedrängt werden, im eigenen Interesse der Existenzsicherung Mehrfachqualifikationen
anzustreben, sei es durch die Kombination mehrere Hauptfächer, sei es
durch den zusätzlichen Erwerb der Lehrbefähigung oder die Bildung
mehrerer Schwerpunkte. Innerhalb der Hochschule muss sicher gestellt sein,
den Studierenden der Musikerziehung einen ausreichenden und angemessenen Prozentsatz
Hauptfachunterricht zu widmen, da der dringende Bedarf an kompetenter Musikerziehung
nicht zu leugnen ist. Weder bei Studierenden noch bei Lehrenden darf der Eindruck
entstehen, Studierende der Musikerziehung seien Studierende zweiter Klasse
oder die "Light"- Fassung derjenigen, die sich auf eine künstlerische
Ausbildung konzentriert haben. Dazu gehört die Würdigung der Kapazitäten
eines Ausbildungsinstitutes ebenso wie die realistische Einordnung und Aufklärung
der Studierenden.
III. Die "Kunst der Vermittlung" als Voraussetzung für "Vermittlung
von Kunst"
Die Berufsalltag von Musikerzieherinnen und - erziehern erfordert den Umgang
mit musikalischen Erzeugnissen der Popularmusik ebenso wie die Beschäftigung
mit den didaktischen Problemen von Gruppenunterricht, Arbeit mit Erwachsenen
und den Erscheinungen einer multikulturellen Gesellschaft wie der Problematik
eines nahezu überbordenden Freizeitverhaltens. Entwicklungen in der Bildungspolitik,
um nur Stichworte wie Schulzeitverkürzungen und Ganztagsschule zu nennen,
zwingen sowohl die Schulmusik als auch die Musikerziehung zu Reaktionen. Tätigkeitsfelder
in der Schule werden für Privatmusikerzieher wie für Musikschulen
zu Optionen. Es entsteht hier ein neuer Markt, der auch bisher wenig ausgeschöpfte
Aufgabenfelder der Kirchenmusik einschließt. Musikerziehung, Schulmusik
und Kirchenmusik sind jedoch nur unterschiedliche Spielarten einer "Vermittlungskunst"
mit dem Ziel der Multiplikation künstlerischen Wesens. Die Qualifikationsprofile
müssen daher über die musikpädagogischen Grundfertigkeiten der
Vergangenheit hinaus gehen. Von großer Bedeutung ist hierbei auch die
erstarkende Elementare Musikpädagogik. Nicht nur, dass die Mehrzahl der
zu besetzenden BAT-Stellen an öffentlichen Musikschulen an musikalische
Früherziehung, musikalische Grundausbildung oder Elementare Musikerziehung
gebunden ist; das lückenlose erstklassische Angebot an musikalischer Bildung
ist vielmehr die unabdingbare Voraussetzung, den "Kulturstandort"
zu erhalten. Diesen inhaltlichen Fakten stehen strukturelle Schwierigkeiten
entgegen. Wir müssen den Abbau der Stellen an Musikschulen und Kirchengemeinden
erleben und beobachten die Einflussnahme einer nicht immer verantwortlichen
und nachhaltigen "Event-Kultur" und den Wildwuchs von privaten Anbietern,
die aufgrund des fehlenden Schutzes der "Labels" Musiklehrer, Musikschule,
Musiker, Komponist oder gar "Künstler" oftmals nicht ausreichend
qualifiziert sind. Dadurch entsteht mehr Schaden als Nutzen. So bedarf es neben
dem künstlerischen Sendungsbewusstsein hoher kommunikativer und psychologischer
Fähigkeiten, eines kompetenten und seriösen kulturpolitischen Engagements,
Fantasie und Energie zur Erschließung neuer Klientel und schließlich
eine von Diplomatie getragene Überzeugungskraft, sich gegen divergierende
Interessen zu behaupten. Stellen werden zunehmend, in Kirchengemeinden wie
an Musikschulen, danach besetzt, wie die Bewerber sich als kommunikative Persönlichkeiten
mit der Fähigkeit zur vielfältigen und vernetzten Innovation beweisen.
Die pädagogische Kompetenz als "Kunst der Vermittlung" erhält
(auch in der Kirchenmusik) einen immer höheren Stellenwert. Die "Vermittlung
von Kunst" ist wesentlich von dieser Schlüsselkompetenz abhängig.
Der so genannte "naive Künstler" ist in eine Nische abgedrängt.
Die neu zu erschließende Klientel ist dadurch gekennzeichnet, dass sie
oftmals keinerlei Vorbildung besitzt, nach ständig neuen Reizen verlangt
und in die vorgeformten Schemata eines traditionellen Verständnisses von
Musikerziehung (und Kirchenmusik) nicht passen will. Erwachsenen- und Kinderchöre
sind größtenteils Zusammenschlüsse von Menschen, die an das
Singen herangeführt werden müssen, für die Literatur erst im
Entstehen begriffen ist oder erstellt werden muss. Sie existieren neben den
Ensembles von Spezialisten, deren Qualität sich immer mehr verbessert,
ebenso wie das Heer der in ihrer Freizeit musizierenden Menschen ohne professionelle
Ambitionen. Kinder und Jugendliche bedürfen der Betreuung, damit sie einen
Zuwachs ihrer Lebensqualität gewinnen und den notwendigen Humus für
die "Spitzenkultur" bilden können. Für alle diese Gruppen
sind produktive Tutoren notwendig.
Eine Musikpädagogik mit dem Siegel vielfältiger Kompetenzen ist somit
ein gleichberechtigtes Anliegen von Hochschule neben der Ausbildung und Förderung
von Nachwuchs für das Konzertpodium. Mehr noch, keine dieser Säulen
einer Hochschulstatik kann ohne die andere auf Dauer existieren. Daher gilt
es auch für die Zukunft, Wert und Standard einer qualifizierten Musikpädagogik
ins Bewusstsein zu rücken und dafür zu werben, dass Lehrende wie
Studierende sich aktiv dieses wertvollen und immens wichtigen Aufgabenfeldes
annehmen.
JN
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