Grußwort anläßlich der Preisverleihung
"Jugend komponiert" 1996


Hochschule des Saarlandes für Musik und Theater
16. November 1996

Liebe Preisträgerinnen und Preisträger,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,

zum fünften Male richtet der Landesverband Saar des Deutschen Tonkünstlerverbandes mit der Unterstützung des Ministers für Bildung, Kultur und Wissenschaft den Landeswettbewerb "Jugend komponiert" aus. Zum fünften Male sind der Jury die Ergebnisse der komponierenden Jugend zugegangen, und zum fünften Male konnten Preise vergeben werden. Wir freuen uns, wenn die notierten Kompositionen heute in Klang umgesetzt werden und so diesem kleinen Jubiläum Inhalt geben. Wir hören die Kompositionen und nehmen sie zum Anlaß, über die Zielsetzung des Wettbewerbs im Besonderen und Komponieren im Allgemeinen zu reflektieren. Ich möchte hier nicht musikwissenschaftliche Detailfragen ergründen und musikästhetische Grundpositionen erörtern, sondern den pädagogischen Aspekt jugendlichen Komponierens beleuchten.

Komponierende Menschen stellen keine Mehrheit innerhalb unserer Gesellschaft dar, ja selbst unter dem musizierenden Teil der Gesellschaft sind sie eine Minderheit, so daß sich die Assoziation, Komponisten seien Teil einer musikalischen Elite oder diese selber, dem Beobachter möglicherweise aufdrängen wird. Und doch unterliegt dieser einem Irrtum, der einer eingeschränkten Betrachtungsweise erwächst.

Was nennen wir Komposition?

Üblicherweise verstehen wir unter Komposition jegliche Aktivität zur Formung und Gestaltung eines musikalischen Materials. Dieser recht allgemeinen Definition kann man eine weitere, etwas speziellere beifügen: Eine Komposition ist ein eindeutiges, meist in Notenschrift fixiertes und sinnvolles Klanggebilde, das zudem noch einen gewissen Grad an Originalität und Einmaligkeit aufweist. Jede der einzelnen Beschreibungen bedürfte vor der vollständigen Klärung weiterer Differenzierungen; darüber hinaus sind besonders die Grenzbereiche, beispielsweise der Grenzbereich zwischen Komposition und Tonsatz und die notwendige Abgrenzung oder zwischen Komposition und Improvisation von besonderer Faszination, gleiches gilt für die Wertfrage einer Komposition in Bezug auf den Zeit- und Gültigkeitsfaktor. Letztlich hat auch der Originalitätsbegriff viele Facetten. Ich möchte eine der möglichen Sehensweisen verfolgen.

Die Einmaligkeit, Authentizität und Individualität einer Komposition ist nicht nur auf der Materialebene eines Werkes zu messen. Originalität hat darüber hinaus eine psychologische Dimension. Tiefenpsychologische Mechanismen zwischen Erfahrung und Verarbeitung von Erfahrung sind die Wurzeln kompositorischer Vorgänge. Berühren wird eine Komposition nur dann, wenn sie ehrlich, nicht vordergründig funktional, sondern Ausdruck einer Emotion ist. Sie spiegelt die Vielfalt und den Reichtum der Fantasiewelt wie den eigenen Standpunkt zur Tradition und die natürlichen Wurzeln, ja den Stand der persönlichen Entwicklung wider. Im negativsten Fall sind Kompositionen gar Dokument für nicht mehr sich vollziehende Entwicklung, für eine Erstarrung, die dann die Komposition ihrer Originalität beraubt und den Menschen in einer Krise zeigt. Viele erfahrene Komponisten kennen den Zustand der Sprachlosigkeit in Extremsituationen des Lebens, kennen aber auch die ersten Äußerungen nach dem Verstummen und deren besondere Innensicht, haben erfahren, wie sich die Vokabeln anders kombinieren, wie sich eine Entwicklung vollzogen hat, die Außenstehende Reifung nennen, die dem Komponisten Selbsterfahrung sind.

Komposition ist eine der unmittelbar wirksamsten kreativen Äußerungen, zu denen Menschen fähig sind. Sie ist aber auch durch den hohen Grad ihrer Verschlüsselung eine besonders intensive Form von Kommunikation. Es bedarf großer Hörfähigkeit, eines hohen Kenntnisstandes des Codes, der die Musik verschlüsselt, besonders jedoch immenser Feinfühligkeit, um hinter dem vordergründigen Klangereignis die Information zu erkennen. Diesem gerecht zu werden, ist, hat man es mit jugendlichen Komponisten zu tun, eine pädagogische Herausforderung. Das "Originale" einer Komposition hat so verstanden einmal Informationscharakter, ist also Teil eines kommunikativen Vorgangs, zum andern ist das "Originale" sehr subjektiv Weg zur Selbsterfahrung und Verarbeitung

Der Vorsitzende unserer Jury, Prof. Theo Brandmüller, hat unter dem Titel "Komponieren kann man ohnehin nicht lernen" in nmz 04/05 1989, wo er Fragen der methodischen und didaktischen Problemstellungen der Förderung junger Komponisten nachging, über Erfahrungen im Umgang mit diesen berichtet. Eine ihrer Fragen an sich und ihre Lehrer ist:

"Wie finde ich heraus, was in mir selbst ist?"

In ihnen selbst ist nicht nur der Drang nach kreativem künstlerischen Ausdruck, sondern in ihnen sind auch Fragen und Konflikte, Ängste und Hoffnungen, Zweifel und Suche nach Orientierung. Die Frage nach dem Inneren wird verbal oder nonverbal ständig an Pädagogen herangetragen, und dies nicht nur an Kompositionslehrer. Wird diese Information, diese Frage, immer verstanden...? Stellt sich der Pädagoge jedoch dieser Frage, kann er sein Tun nicht nur im Sinne von Aus - Bildung oder Befähigen zu -, sondern muß es als Teil der Mensch - oder Persönlichkeitsbildung verstehen.

In einer Zeit, die geprägt ist von knappen Mitteln einerseits, andererseits der Suche nach Perspektiven, dem Streben nach Effizienz in allen Bereichen - letztlich auch der Aus-Bildung, darf dieses Kernstück von Bildung nicht in Vergessenheit geraten. Alle Verantwortlichen, die Pädagogen und die Hüter der Ressourcen, die politisch Verantwortlichen, haben die Freiräume zu sichern und zu pflegen, in denen die Frage nicht nur gestellt, sondern auch beantwortet werden kann:

"Wie finde ich heraus, was in mir selber ist?"